Prüfend blicke Rosalinda in den Garderobenspiegel. Sie zog ihren Rollkragenpulli leicht nach unten; sie hatte einen gut gewachsenen Schweinehals, den konnte sie ruhig zeigen.

Aus ihrer Handtasche nahm sie ein Fläschchen mit selbstgemischtem Parfüm;  Eau de Rosmarin extra double, scharf und dumpf-erdig. Großzügig sprühte sie sich von oben bis unten damit ein. Sie griff nach dem Lippenstift und bemalte ihre Lippen, bis diese in bonbonfarbenen Rosa dick und fettig glänzten. Zufrieden lächelte sie ihr Spiegelbild an.

Der Blick auf die Wanduhr zeigte, es war Zeit zu gehen. In einer halben Stunde traf sie sich im Café Pigtail mit ihrer Freundin,  Henriette Apfelbrei. Rosalinda war sehr gespannt auf diesen Nachmittag. Das Ganze war Henriettes Idee gewesen, was Rosalinda erstaunlich fand, hielt sie ihre Freundin für doch eher hausbacken und unterstellte ihr ein einfaches Gemüt  – ein gemeines Hausschwein eben! Rosalinda wiederum war stolz auf ihre Wurzeln als Deutsche Landrasse, mit echten Genen vom Meissner Schwein!

Henriette hatte vorgeschlagen, sie beide in einem Dating Portal mit Namen „GrunzShip – Dating für kultivierte Schweine“ anzumelden. Rosalinda brauchte nicht lange  überredet zu werden, war sie doch davon überzeugt, das beste Schwein im Stall zu sein. Sie meldeten sich an und verbrachten ein paar vergnügliche Stunden damit, sich mit vielen „Aah´s und Ooh´s , ne jetzt´s , guck mal DEN an“ die männlichen Bewerber anzusehen. Heute war es nun soweit – sie würden sich mit zwei Kandidaten im Café Pigtail treffen!

Sie setzten sich an einen gemütlichen Tisch mit Überblick über das ganze Café  und bestellten sich den Drink des Tages: Mistkübel-Smoothie – bottoms up!  Es herrschte ein ständiges kommen und gehen im Café und der Grunzpegel war ziemlich hoch.  Die Herren Eber waren pünktlich und sehr verschieden; der Größere von beiden schlank und gut gebaut und der Kleinere eher pummelig und gutmütig aussehend. „Ich nehm´ den Größeren, alles klar!“, zischte Rosalinda temperamentvoll.

Die so Begutachteten kamen näher und stellten sich vor.

„Dr. Dr. Benno Backbord,  U-Boot Spezialist Hamburger Hafen, Abstammung Rotbuntes Husumer Schwein“, sagte der größere Eber und drehte dabei sein gutgeformtes Schwänzchen elegant in die Höhe.

„Gestatten“, meinte der Kleinere und verbeugte sich tief, „Prof. Pistorius Pausenbrot, Ernährungspsychologe und Autor des Bestsellers 2022 „wann ist denn die Sau so fett geworden“, Abstammung Göttinger Minischwein.

Die Damen schienen beeindruckt.  Rosalinda lächelte wohlwollend und präsentierte sich und ihre unzähligen Vorzüge ausführlich und langatmig und wie es schien überwältigend für die beiden bereits leichte Ermüdungszeichen zeigenden Kandidaten. Auch bemitleidete sie Henriette in ihrem zitronengelben Rüschenkleidchen (geht ja mal gar nicht!) und ihre scheue, zurückhaltende Art. Aber komischerweise schienen die beiden Herren genau das anziehend zu finden. Sie suchten Henriettes Nähe und kämpften um den einzigen Stuhl neben ihr. Dr. Benno Backbord gewann und  ließ sich freudig neben Henriette nieder; es dauerte nicht lange bis die Zwei in ein Gespräch vertieft waren und sich offensichtlich dabei gut verstanden.

Rosalinda betrachtete das Paar  verärgert;  war sie es doch, die ihre Ansprüche auf den großen, gut aussehenden Kandidaten angemeldet hatte. Und nun war für sie nur der kleine Bewerber übrig geblieben. Na ja, dachte sie und betrachtete ihn genauer.  Prof. Pausenbrot machte den Eindruck als wäre er lieber bei Henriette, immer wieder blickte er sehnsuchtsvoll zu den beiden hinüber. Rosalinda beschloss mehr Interesse zu zeigen, schließlich war ein kleines Schwein besser als gar kein Schwein. Sie schob ihren Stuhl ganz nah zu Prof. Pausenbrot und legte ihren nicht unschönen Schweinefuß auf den seinen. Prof. Pausenbrot, bzw. sie waren zwischenzeitlich beim Vornamen Pretorius angelangt, war erstaunt;  aber Rosalindas Avancen waren ihm nicht ganz unangenehm. Rosalinda rutschte noch näher und raunte Pretorius etwas in sein Schweineohr. Pretorius bekam einen roten Kopf  und dann schossen ihm die Tränen in die Augen. Er weinte immer heftiger und sein Gesicht wurde tomatenrot;  was Rosalinda sehr verwunderte, so anzüglich waren ihre Worte doch gar nicht gewesen! .Hilfesuchend schaute sie nach Henriette und Benno, aber deren Stühle waren leer! Na so was, war Henriette mit dem Typen einfach so mitgegangen? Nach so kurzer Zeit? Der würde sie doch zur Sau machen – und dann?

Egal, sie musste sich um Pretorius kümmern – was für ein tolles Date! Arghh!  So langsam schwoll ihr aber der Schweinenacken an! Pretorius versuchte verzweifelt ihr etwas zu sagen. Hoffentlich nicht seinen letzten Willen, sie kannte das arme Schwein doch kaum!  Moment – was war das? Psst, still! Sagte er etwa Allergie? Sagte er gar Rosmarin?

Prof. Pretorius Pausenbrot war allergisch gegen Rosmarin! Parfüm  extra double! Heftig hustend und tränenüberströmt wankte Dr. Pausenbrot hinaus an die frische Luft. Er drehte sich nicht ein einziges Mal nach Rosalinda um.

Das konnte doch alles nicht wahr sein! Rosalinda schwoll der Schweinekamm. Warum musste SIE immer das arme Schwein sein?

Jemand tippte sie auf die Schulter. Henriette! Rosalinda hatte sich noch nie so gefreut, die Freundin zu sehen. Henriette schien es genauso zu gehen, sie schaute Rosalinda lächelnd an, zuckte mit der Achsel und sagte nur „Männer – Pfft!“

Sie beschlossen nach Hause zu gehen und dort gemütlich eine Tasse Tee zu trinken. Das Wetter hatte sich gedreht, es stürmte und windete, so dass die Blätter wie wild durch die Luft flogen.  Rosalinda zog die hochhackigen Schuhe aus und rannte lachend auf Strümpfen die Straße rauf und runter um die bunten Blätter einzufangen. Leute blieben stehen und betrachteten kopfschüttelnd Rosalinda. Eine ältere Frau fragte Henriette, ob mit ihrer Bekannten alles in Ordnung sei.

Henriette lachte und rief „Na klar, alles ist wunderbar – das ist Rosalinde Rosmarin und das Schwein dreht ab!“

 

S.B. 2022