Susanne’s Adventskalender Challenge – 12. Dezember 2022
Magie in Rot
(Rote) Weihnachtswunder gibt es eben doch!
Suse stellte ihre leere Teetasse in die Spüle und ging zum Fenster. Bevor sie die Vorhänge zuzog, warf sie einen Blick nach draußen. Der Schnee fiel in sanften Flocken zur Erde und bildete dort im Gegenlicht der Straßenlaternen bizarre Gebilde in Weiß. Es dunkelte früh an diesen Dezembernachmittagen. Suse zog ihre warmen Winterboots und den Wollmantel an. Sie setzte ihre Mütze auf, band sich den Schal um und zog die Haustüre hinter sich zu. Sie konnte ihren eigenen Atem sehen, als sie den steilen Weg hinter ihrer Wohnung in Richtung Stadtmitte hinauflief. Gleich am Ortseingang gab es links von der Straße einen großer Laden, mit Fenstern die bis zur Decke und dem Boden reichten; früher hätte man wohl dazu Kaufhaus gesagt; aber so etwas gab es heutzutage nicht mehr, heute lief so ein Geschäft unter dem Namen Fachgeschäft für Wohn-und Tischkultur. Die Ladenfenster waren immer zu jeder Jahreszeit und zu jedem Anlass, wie z.b. zur Hochzeitssaison, exklusiv und anspruchsvoll dekoriert. Und jetzt im Dezember erstrahlten die in der frühnächtlichen Dunkelheit erleuchteten Fenster in hellem weihnachtlichem Glanz. Alles war in grün, rot und golden anheimelndes Licht getaucht. Suse ging bis zum letzten der Fenster, das etwas kleiner als die anderen Fenster war. Sie blieb davor stehen und blickte hinein. Der Hintergrund des Fensters war mit Büscheln von frischem Weihnachtsgrün bedeckt, das mit goldenen Sternen und einer funkelnden Lichterkette geschmückt vor. Davor hing, mit einem von der Decke herabhängenden Band befestigt, die schönste Christbaumkugel, die Suse je in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Die Kugel war ziemlich groß und ihr faszinierend schimmerndes Rot strahlte in einem magischen Glanz, welcher ihren Betrachter nicht mehr losließ. Wie alles in diesem Geschäft war auch diese Kugel sehr teuer und weit außerhalb von Suses Budget. Aber jeden Abend seit Beginn der Adventszeit stand Suse vor dem Fenster und bewunderte die Christbaumkugel. „Bis morgen liebe Kugel“, sagte Suse und lief schnell nach Hause zu einer warmen Tasse Tee.
Der oberste Teil des Geschäftes diente dem Eigentümer, Herr Relgeiz als Wohnung. Heute wie so oft davor hatte er aus dem Fenster gesehen und dabei, auch wie so oft, Suse im Auge gehabt wie sie vor dem Fenster stand und gebannt hineinsah. Später dann, als er seine übliche Runde machte um sicherzustellen dass alles in Ordnung war, ging er neugierig hinaus vor das Geschäft und schaute in das Fenster in das Suse Abend für Abend gebannt hineinsah. Er blickte die Kugel an und obwohl er eher der rationale Typ und darauf auch stolz war, zog sie ihn in ihren Bann. Er riss sich los und blickte auf das Preisschild; er hatte keine Ahnung gehabt, dass Christbaumkugeln so teuer waren. Kein Wunder, dass Suse die Kugel nur durch das Fenster bewundern konnte. Herr Relgeiz blickte sinnend die Kugel an und hatte auf einmal eine Idee.
Am nächsten Morgen wies er seinen Dekorateur an, die rote Kugel gegen zwei kleinere silberne Kugeln auszutauschen. Die rote Kugel packte er in einen Karton und nahm selbigen mit in seine Wohnung. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und entnahm dem Safe eine Schatulle. Mit selbiger Schatulle hatte es eine besondere Bewandtnis; in der kleinen Stadt in der er und Suse lebten, gab es sehr viele gut betuchte Leute, die häufig Wechselgeld oder Spenden in eine eigens dafür gedachtes Sparschwein warfen, das auf der Ladentheke im Geschäft stand. Jeden Abend legte Herr Relgeiz das Geld in die Schatulle im Safe. Jedes Jahr kurz vor Weihnachten dann wurde die Schatulle geleert und mit dem Geld wurden Menschen, die finanziell nicht so gut dastanden, in Form von Geschirr oder Dekoartikeln aus seinem Geschäft eine Freude gemacht. Und dieses Jahr würde am morgigen Weihnachtstag eine rote Christbaumkugel dabei sein.
Suse hatte einen anstrengenden Tag gehabt. Sie freute sich heute ganz besonders darauf, der roten Christbaumkugel einen Besuch abzustatten und ihre Sorgen wenigstens für ein Weilchen zu vergessen.
Suse stand vor dem Ladenfenster und konnte es nicht fassen, dass die rote Christbaumkugel nicht mehr da war! Da hingen nur zwei kleine, silberne und unscheinbar aussehende Kugeln. Sie presste Ihre Nase gegen das Glas um herauszufinden, ob die Kugel vielleicht runtergefallen war, aber sie konnte nichts entdecken. Es gab keine Möglichkeit für die Kugel irgendwo im Fenster versteckt zu sein – und das konnte nur eines bedeuten: die Kugel war weg, sicher verkauft und an einem anderen Fenster in diesem Ort oder vielleicht sogar in einer Stadt schon aufgehängt! Suse brach in Tränen aus!
Oben am Fenster stand Herr Relgeiz und blickte hinunter zu Suse, die vor dem Fenster stand und weinte. Am liebsten hätte er den Karton mit der Kugel genommen und ihn Suse jetzt gegeben; er konnte nicht wirklich mit weinenden Frauen umgehen und Suses Tränen berührten etwas in ihm, das er längst vergessen geglaubt hatte. Gerade als er sich entschloss mit dem Karton nach unten auf die Straße zu gehen, lief Suse, immer noch weinend, in Richtung ihrer Wohnung davon. Herr Relgeiz tröstete sich mit dem Gedanken an Suses Gesicht, wenn sie am morgigen Weihnachtstag den Karton mit der roten Christbaumkugel vor ihrer Türe finden würde! Vielleicht, dachte er, könnte er sie ja auch mal zu Kaffee und Kuchen einladen und sie konnten gemeinsam über die Geschichte lachen …
Der Weihnachtsmorgen stieg kalt und rosig herauf. Suse hatte schlecht geschlafen; was, dachte sie brummig, ja auch kein Wunder war. Um ihre Laune zu heben, machte sie sich eine warme Bettflasche und nahm ihre Tasse frischen Kaffee mit zurück ins Bett. „Und da bleib ich am besten für heute, das ganze Weihnachtsgedöns kann mit sowas von gestohlen bleiben!“ Missmutig zog sie die Decke über ihren Kopf. Es klingelte an der Wohnungstür. „Wer kann denn das sein morgens um diese Zeit – es ist ja mal gerade 8 Uhr!“ Suse stand auf, zog schnell den Morgenmantel über und fischte derweil unterm Bett mit den Zehen nach ihren Hausschuhen. Vor der Wohnungstüre auf dem Schuhabstreifer stand ein großer viereckiger Karton. Es war kein Absender drauf, keine Briefmarken und als Empfänger hatte jemand mit krakeliger Schrift geschrieben: „An Frau Suse B.“. Neugierig geworden und mit einem Küchenmesser in der Hand begann Suse den Karton zu öffnen. Zuerst kam jede Menge Tüllpapier; sie arbeitete sich weiter vor und das weiße, durchsichtige Papier veränderte sich mehr und mehr rose-rot. Dann war das letzte Stück Papier entfernt und Suse schaute sprachlos in den Karton auf eine rote Christbaumkugel! Mit dem Zeigefinger berührte sie vorsichtig die Kugel … es war kein Traum! Mit beiden Händen griff sie in den Karton und legte die Kugel sanft auf ihre Bettdecke. Die Christbaumkugel schimmerte und leuchtete und versprühte ihren magischen Glanz – Suse blieb die Luft weg. Und dann kamen wieder die Tränen, aber dieses Mal vor Freude. Wer mochte wohl gewusst haben, wie sehr ihr Herz an dieser Kugel hing – und wer in aller Welt hatte sie ihr geschenkt?? Suse bewunderte fasziniert ihre Kugel und bemerkte nebenbei ein bisschen erstaunt, es war ihr egal wer was gewusst hatte und warum sie diese Kostbarkeit geschenkt bekommen hatte. Hauptsache die Christbaumkugel hatte den Weg zu ihr gefunden…
(Weihnachts)-Wunder gibt es eben doch!
S.B. 2022
Karin
Das ist mal eine schöne Weihnachtsgeschichte 🎄, Die gefällt mir richtig gut- wie eigentlich alle deine Geschichten , aber die ist besonders ☺️😘