Ella Eucalyptus hat’s drauf!

Ella Eucalyptus hat´s drauf

Kapitel 1

Er hatte sich verlaufen. Noch nie zuvor in seinem ganzen Leben war ihm so etwas passiert. Ratlos schaute er sich um. Wohin er auch blickte, die alten Häuser und die verwinkelten Straßen mit ihrem Kopfsteinpflaster sahen alle gleich aus. Das Gefühl von Unwirklichkeit welches ihn, seit er Fuß in diese Stadt gesetzt hatte,  gefangen hielt wurde heute Abend noch verstärkt durch die Straßenlaternen,  deren schmutzig trübes Licht mit Hilfe der zäh vor sich hin wabernden Nebelschwaden die ganze Umgebung zu verschlucken schienen.

Er beschloss an der nächsten Kreuzung nach rechts abzubiegen. Der Weg führte ihn zu einer kleinen Brücke, deren schlüpfriger schmaler Steg vor Nässe tropfte. Er hielt sich am Geländer fest, um nicht auszurutschen und, was Gott verhüten möge, in den sicherlich eisig kalten Tümpel zu fallen. Auf der anderen Seite der Brücke angekommen, blieb er stehen – er hatte keine Ahnung wo er sich befand. So langsam schlichen  Zweifel in ihm hoch,  wie und vor allem wann er zurückfinden würde in seine gemütliche und warme Pension. Er sehnte sich nach trockenen Socken und einer Wärmeflasche im Rücken.  Eine Tasse  heißen Tee, angereichert mit einem kräftigen Schuss Brandy, würde ihm sicher auch nicht schaden.

Es war aber auch zu dumm, dass er niemanden nach dem Weg fragen konnte. Die Stadt schien wie ausgestorben; er war auf seinem Spaziergang keiner Menschenseele begegnet und hinter den Fensterscheiben der Häuser war alles dunkel. Er blickte die Straße hinunter. Was war das? Er kniff die Augen zusammen. Durch die Nebelschwaden hindurch vermeinte er, am Ende der Straße einen schwachen Lichtschein zu sehen. Er stellte den feuchten Kragen seines Mantels hoch während er sich zum wiederholten Male mit vorwurfsvoller Stimme selbst zurechtwies, dass er seinen Regenschirm in der Pension hatte stehen lassen. Hoffentlich kam er nun bald ins Warme, er hatte keinen Bedarf an einer Erkältung!

Rasch ging er die Straße hinunter auf den Lichtschein zu. Dort angekommen stand er vor einem steinernen alten Haus mit einem länglichen Schaufenster auf der Vorderseite, aus dem ein matter Lichtschein auf den Bürgersteig fiel. Das Schaufenster enthielt außer einer an der Decke befestigten und altertümlich anmutenden Messinglampe einen lilafarbenen Vorhang, der an seinen beiden verschlissenen Enden mit einer dicken Kordel versehen war. In der Mitte des Schaufensters stand in einen goldenen Überwurf eingehüllt, eine Kiste auf der ein gerahmtes Ladenschild platziert war.

Er holte seine Brille aus der Manteltasche, rieb sie mit einem Taschentuch trocken und las das Schild, das mit schwarzer Tusche geschrieben war:

Detektei
Ella Eukalyptus
Privat Investigations

Das war alles.  Keine Adresse, keine Telefonnummer und keine Öffnungszeiten.  Merkwürdig. Forschend blickte er nach oben.  Aha. An der Hauswand hingen – mit großen schwarzen Eisennägeln befestigt, die in den Stein gehauen waren –  zwei Plaketten in unterschiedlicher Größe. Den Umstand, dass beide Schilder die Gestalt eines Drachen hatten, fand er mindestens so rätselhaft wie die Inschrift auf den Plaketten.  Auf der größeren Plakette  stand geschrieben „ 96, essartshcirdierF“ und auf der Kleineren „krizeB HCSENROT“.  Er konnte sich darauf überhaupt keinen Reim machen. Die Kirchturmuhr schlug die Neunte Stunde und der Nebel wurde immer undurchdringlicher. Ihm war kalt. Er würde sich auf die Suche machen nach der Haustüre, an der es sicher eine Klingel gab.  Wenn er Glück hatte, konnten die Bewohner ihm helfen seine Pension, die er zwischenzeitlich mehr als schmerzlich vermisste, wiederzufinden. Schade, dass er keine Taschenlampe dabei hatte, aber es musste eben auch so gehen. Fröstelnd machte er sich auf den Weg.

Sobald das Licht des Schaufensters verschwunden war, wurde es  um ihn herum ganz dunkel. Vorsichtig tastete er sich an der Hauswand entlang. Unter seinen Händen die sich kalt und nass anfühlten spürte er, dass die Hauswand dicht mit Pflanzen bewachsen sein musste. Auch auf dem Boden schienen reichlich Pflanzen zu gedeihen; mehr als einmal hatte er das eigenartige Gefühl, einige der Gewächse würden sich um seine Beine schlingen und versuchen ihn festzuhalten.  Was natürlich absoluter Quatsch war!  Er, der sonst immer streng darauf achtete mindestens 3 Liter Flüssigkeit am Tag zu sich zu nehmen, hatte es am heutigen Tag bisher auf mal gerade 2 Tassen Tee gebracht; also kein Wunder, dass er nicht klar denken konnte! Ein Stückchen weiter vorne sah er ein Licht  – die Haustüre!  Fast wäre er vor Erleichterung  hingefallen …  es schauderte ihm bei diesem Gedanken und der Vorstellung, die Pflanzen würden ihn, wenn er auf dem Boden lag von oben bis unten einwickeln und festhalten.

Im Lichtschein angekommen, musste er zu seinem Erschrecken feststellen, dass er erneut vor dem Schaufenster stand – er hatte bei seiner Wanderung um das Haus herum die Haustüre nicht gefunden. Eigentlich war das unmöglich, denn sie musste  da sein.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es noch einmal zu versuchen. Wieder verschwand er im Dunkeln und tastete  sich die Hauswand entlang, die Hände nass und kalt. Noch mehr als beim ersten Mal gruselte es ihn, die Pflanzen die am Boden wuchsen zu spüren.  Zunehmend hysterisch stellte er,  der immer stolz auf seine ruhige und besonnene „No-Nonsense“- Denkweise gewesen war – alarmiert fest, dass einige dieser Gewächse tatsächlich versuchten, seine Hosenbeine zu umschlingen und ihn am Weitergehen zu hindern.  Zitternd vor Kälte und einem beklemmenden Gefühl in der Magengrube  ging er weiter. Endlich sah er ein Licht und er betete, dass es dieses Mal die Haustüre war. Doch abermals kam das Licht aus dem Schaufenster, wieder hatte er die Haustüre nicht gefunden.

Es reichte mir jetzt, dachte er verärgert, er hatte genug davon sich von einem Haus ohne Haustüre an der Nase herumführen zu lassen. Seine Fingerspitzen fühlten sich wie abgefroren an und seine eisigen Zehen waren kaum mehr zu spüren.  Er würde ein Stück weiter gehen, irgendwo musste doch wenigstens eines dieser rätselhaften Häuser bewohnt sein! Doch in welche Richtung sollte er gehen? Unschlüssig und gedankenverloren  richtete er seinen  Blick auf das Schaufenster und die Kiste mit dem Ladenschild. Ihm stockte der Atem – auf dem Schild waren auf einmal ganz andere Worte erschienen!

 

Zuerst nach links bis das Licht versinkt,
drei Schritte nach vorn
und fünf zurück.
„Abrakadabra,
bring mir Glück
und öffne diese Tür ein Stück!

 

Sein Mund stand weit offen vor Überraschung. Er klappte ihn zu und beschloss im selben Augenblick, dass-  sobald er  aus dieser verwirrenden Geschichte herauskommen war – er nie, nie wieder in einer fremden Stadt im Dunkeln und im Nebel spazieren gehen würde. Nie wieder!

Wenigstens wusste er nun wie er die vermaledeite Haustüre finden konnte. Und dem Spaßvogel, der dieses Haus bewohnte, würde er ordentlich seine Meinung sagen!

Er holte tief Luft. „Zuerst nach links, bis das Licht versinkt –  erledigt; drei Schritte nach vorn und fünf zurück – fertig;  Abrakadabra, bring mir Glück und öffne dieses Haus ein Stück!“  Er hatte es geschafft. Und wartete. Nichts geschah! Aber halt, was war das?  Der Nebel, der vormals angeschmutzt in gräulich-weißen Schwaden durch die Straßen der Stadt gezogen war,  hatte seine Farbe gewechselt. Ein rosafarbener Dunst umhüllte nun das Haus, so hoch und dick, dass man es dahinter nicht mehr erkennen konnte. Schon wieder ertappte er sich, dass er mit offenem Mund da stand und kopfschüttelnd schloss er ihn ein weiteres Mal. Er wartete. Die Kirchturmuhr schlug die zwölfte Stunde. Danach war es wieder ganz still.

Langsam stieg der rosa Dunst hinauf in den nächtlichen Himmel, wo er sich auflöste und als feiner Sternenregen wieder zurück auf das Haus und die darum liegende Erde herunterrieselte.  Das Haus hatte zu dem einem Schaufenster, dessen Licht einladend und hell erstrahlte,  weitere Fenster bekommen und auf dem Dach war ein großer Schornstein zu sehen. Neben dem Schaufenster waren Treppenstufen aus Stein entstanden. Auf dem Geländer der Treppe waren mehrarmige große Kerzenhalter angebracht, in denen dicke Kerzen standen. Das Ende dieser Treppe führte, und er konnte es kaum glauben,  zu einer Haustüre! Sie sah aus wie eine Eingangstüre für eine Villa oder für ein  Schloss. Sie war groß und massiv gebaut aus schwarzem Holz, versehen mit schweren Beschlägen aus Messing. Ein imposantes, goldenes Türschloss zierte die Vorderseite.

Den Kragen hochgezogen und mit Gliedern, die von Kälte und Nässe schmerzten,  ging er auf das Haus zu. Er betrat  die erste Treppenstufe – puff, die  Kerzen in den Kerzenhaltern auf dem Geländer brannten hell. Er betrat  die zweite Stufe – blubb, dem Schornstein entwich ein heimeliger Rauch. Die dritte Stufe –  zisch, die  Kerzen hinter den Fensterscheiben brannten. Die  vierte Stufe – hoppla, eine unsichtbare Hand reichte ihm eine dampfend heiße  Tasse Tee. Hmmm …. die tat gut!  Er trat auf die  fünfte, letzte Stufe – geräuschlos öffnete sich die schwere Eingangstüre.

Bedacht darauf, dass sein Mund dieses Mal geschlossen blieb, schaute er mit Augen groß wie Untertassen  auf das Bild, das die offene Eingangstüre ihm bot.

Er konnte in eine große und geräumige Diele sehen,  auf deren Boden ein dicker, roter Läufer lag.  In Hülle und Fülle waren überall im Raum verteilt und ein gemütliches Licht verbreitend, farbige brennende Kerzen und schöne Lampen. Die Wände leuchteten geradezu mit ihren abstrakten Gemälden in herausfordernden Farben. Es gab mehrere alte Kommoden und Schränke, auf denen sich Bücher in schwindelerregender Höhe aufeinandergestapelt um Platz stritten.  Wohin man blickte standen  riesige Vasen, gefüllt mit verschiedenartigen Blumen, Pflanzen und Blättern aller Art.  In einem offenen Kamin vor dem zwei bequeme Ohrensessel standen knisterte ein einladendes Feuer. Und in der Luft lag ein verführerischer Duft von Vanillegebäck und heißer Schokolade.

Der Duft gab ihm den Rest. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und fühlte sich  schwindelig. Das Kaminfeuer zog ihn magisch und unwiderstehlich an. Er atmete tief ein und betrat die Diele.

Hinter ihm schloss sich geräuschlos die Eingangstüre.

 

Ella Eucalyptus hat´s drauf

Kapitel 2 

Mit einem Ruck setzte er sich auf und öffnete die Augen. Wo war er?  Und was machte er hier? Warum saß er in einem – zugegebenermaßen überaus bequemen –  Ohrensessel  und hatte die Beine behaglich auf dem dazugehörigen Fußhocker ausgestreckt?  Ihm war wohlig warm, was sicherlich mit dem Feuer, welches einladend im offenen Kamin brannte, zu tun hatte.  In der einen Hand hielt er eine leere Kaffeetasse, die interessanterweise nach Vanille und Schokolade roch. Er blickte auf seine andere Hand, deren Finger einen abgebissenen, klebrigen Rest eines rosafarbenen Zuckerkringels umklammerten.  Was war geschehen? Er versuchte nachzudenken. Aber so sehr er sich bemühte sich an vorausgegangenen Ereignisse zu erinnern, er konnte es nicht. Er schloss die Augen; fast kam es ihm so vor als ob er, bevor er vor ein paar Minuten in diesem Raum aufwachte, gar nicht existiert hätte.  Aber – das konnte nicht möglich sein, oder etwa doch? Beunruhigt öffnete er seine  Augen wieder; sein Blick fiel auf den Kaminsims. Dort standen, fein säuberlich nebeneinander, seine schwarzen Schuhe. Vor Erstaunen blieb ihm der Mund offen stehen. Für einen kurzen Augenblick tauchte aus seinem Gedächtnis eine vage Erinnerung an mysteriöse Geschehnisse auf, die irgendwie etwas mit seinem offenstehenden Mund zu tun hatten. Aber bevor er weiter darüber nachdenken konnte, war der Gedanke wieder verschwunden. Probeweise hob er seine Beine hoch – er hatte keine tatsächlich keine Schuhe an. Und er trug nur eine Socke! Wer hatte ihm die Schuhe ausgezogen und auf den Kaminsims gestellt? Und wo war die fehlende Socke?

Er stand auf um der Sache auf den Grund zu gehen; Langsam ging er zum Kamin. Er begutachtete die schwarzen Schuhe,  welche –  warum auch immer – sehr feucht waren und deren Sohlen sich teilweise lösten. Da half nur noch wegwerfen, dachte er verstimmt; er hatte die Schuhe erst vor kurzem gekauft und er legte grundsätzlich Wert darauf,  seine Schuhe für mindestens 10 Jahre zu tragen. Also wirklich!

Immer noch ärgerlich besah er sich seine Umgebung etwas näher. Hm. Der Raum hatte eine  große Eingangstüre und wirkte durch diese wie eine Diele, gemacht für ein Herrenhaus. Kopfschüttelnd betrachtete er die Kommoden und Schränke mit den zahlreichen Büchern, die abstrakten, farbintensiven Gemälde, die Blumen, Pflanzen und Blätter, die Lampen.

Sein Blick fiel auf  die brennenden Kerzen.  Guter Gott – hatten die Bewohner dieses Hauses denn noch nie was von einer Brandschutzverordnung gehört??  Kritisch musterte er den roten Läufer, der seiner Meinung nach so gar nicht zu den hellen und dunklen Grüntönen der Pflanzen und Blätter passen wollte. Für seinen Geschmack war das Alles viel zu wild und zu bunt!  Aber das Schlimmste waren die Spiegel; ihn beschlich ein bizarres  Gefühl von Unwirklichkeit als er sah, wie die Spiegel die Gegenstände und  Farborgien durch ihre vervielfältigende Wirkungsweise zu allem Überfluss noch verzerrten und intensivierten.

Warum dachte er auf einmal an gediegene Nussbaummöbel, Messinglampen, Ölgemälde und Gobelinteppiche? Wieder versuchte er angestrengt seine Gedanken festzuhalten, aber, genau wie zuvor, verschwanden diese genauso schnell wie sie gekommen waren. Eins nach dem anderen!  Aber – etwas ist sicher, sinnierte er  und sah missbilligend auf den roten Läufer,  ICH  habe mit dieser Einrichtung nichts zu tun – ganz bestimmt nicht!!

Es war still in dem Raum, er meinte die Stille mit seinen Händen greifen zu können. Irgendwie war diese Stille beklemmend. Und unheimlich. Seine Armbanduhr zeigte 9.58 Uhr. Das Gute daran war, dass er sich nun  im hellen Tageslicht auf die Suche nach seiner Pension machen konnte. Und womöglich hatte sogar der Regen aufgehört. Der Gedanke an die Pension heiterte ihn auf. Eine Tasse starken Earl Grey Tee und etwas Toast mit Orangenmarmelade war genau das was er jetzt brauchte, um diesen nächtlichen Spuk zu vertreiben. Erfreut über die guten Aussichten marschierte er  in Richtung Haustüre. Sie war aus schwarzem Holz gearbeitet mit schweren Messingbeschlägen und einem goldenen Schloss, welches mit einer schön geschwungenen Klinke, deren vorderes Ende ein  feuerspuckender Drachen zierte, versehen war. Er drückte die Türklinke herunter. Nichts passierte, denn die Türe öffnete sich nicht. Er drückte die Klinke erneut,  diesmal fester. Wieder geschah nichts. Irritiert musterte er die Türe. Er stemmte sich gegen den Türrahmen – vielleicht war  der Rahmen ja verzogen? Mit aller Macht presste er  seinen Körper gegen das Holz. Aber dies gab keinen Millimeter nach. Und jetzt? Logisch vorgehen, dachte er, und mit Ruhe. Aber natürlich  – die Türe war abgeschlossen! Da konnte er drücken und stemmen so viel er wollte – ohne Schlüssel lief gar nichts!

Na dann. Soweit so gut. Nur – wo war der Schlüssel?  Im Schloss steckte er jedenfalls nicht.

 

HaHa!

die Zauberworte dir fehlen –

auf ewig wirst du dich quälen,

den Schlüssel zur Freiheit gar niemals finden!

Noch keiner hat es geschafft

noch keiner hatte die Macht

zu öffnen diese Türe,

versiegelt mit Drachenblut

und verhext mit magischen Schwüren.

So rat ich dir:

gib auf und

lass deinem Schicksal seinen Lauf!

 

Er stand wie versteinert da und rührte sich nicht. Die bedrohlich wirkende Stimme hallte im Zimmer nach. Was in drei Teufels Namen war das gewesen? Und wer hatte da gesprochen?  Er schob die Bücher und Magazine, die sich auf einem Schemel neben der Türe stapelten, auf die Seite und ließ sich vorsichtig auf dem Hocker nieder. Nun mal ruhig Blut, ermahnte er sich selbst, sicher gibt es auch dafür eine logische Erklärung. Auch wenn es ihm immer mulmiger wurde –  er beschloss die Sache strategisch anzugehen. Strategisch und überlegt handeln – das war sein Ding.  Er war in seinem Leben damit  bisher immer gut gefahren und er gedachte auch jetzt – gerade jetzt – diese Einstellung beizubehalten.

Als erstes würde er etwas gegen diese nerv-tötende Stille unternehmen. Er richtete sich kerzengerade auf  und sagte mit lauter und fester Stimme „ Gerome“, sagte er, „Gerome,  jetzt hör mir mal gut zu: Wir müssen einen Weg finden diese Türe zu öffnen. Wir können hier nicht bleiben. Womöglich ist es hier nicht ganz ungefährlich. Lass dir etwas einfallen – mais rapidement, sil´vous plait!“

In der nachfolgenden Stille schaute  Gerome Baptiste Perrier ihn aus zahllosen Spiegeln verzerrt und wortlos an.

„Mon dieu! Nun reiß dich doch mal zusammen!“  Er wurde zunehmend ungehalten. Das lag sicherlich mit an dem Umstand, dass er seit fast 24 Stunden nichts gegessen und getrunken hatte.  Er runzelte seine Stirn; zumindest hatte er wissentlich nichts zu sich genommen, aber genaueres wusste er darüber natürlich nicht.  Unsicher sah er hinüber zu dem Sessel, auf dessen Lehne der abgebissenen Zuckerkringel lag; daneben hatte er die leere Tasse  abgestellt. Sein Bauch grummelte unüberhörbar. Nie hätte er es nie für möglich gehalten, dass er einmal eine Tasse Earl Grey so schmerzlich vermissen würde. Seufzend schüttelte er den Kopf; was würde er nicht geben für eine knusprig geröstete Scheibe Toastbrot mit etwas Butter und bitterer Orangenmarmelade, liebevoll angerichtet von seiner Haushälterin, Madame Ernestine……

Er riss sich los von seinen Gedanken an Madame Ernestine und ihrer vorzüglicher Orangenmarmelade – schließlich hatte er weit Wichtigeres zu tun. Denn sollte er den Schlüssel nicht finden, brauchte er sich keine Gedanken mehr über künftige kulinarische Genüsse zu machen, das war dann für immer für ihn vorbei.

WO bloß konnte dieser vermaledeite Schlüssel nur sein?

 

Er dauert mich,

der arme Tropf

gern helfen würd´ ich ihm!

und –

ich denke

ich lenke

ihn …

 

Eine andere, neue Stimme füllte den Raum! Heller und weich, fast freundlich, ganz anders als die Vorherige. Fieberhaft schaute er um sich; seine Augen eilten die Wände rauf und runter und  sprangen von Gegenstand zu Gegenstand im Raum – aber er konnte nicht entdecken, wo die Stimme herkam.

 

…. gar nichts wirst du tun, du Wicht

du stinkender Verräter –

und wenn du nicht gleich stille bist,

dann hol ich den Salpeter!

 

Wieder die bedrohliche Stimme! Gerome bekam es mit der Angst zu tun. Er konnte sich einfach keinen Reim darauf machen, was das alles bedeutete – und vor allem was war seine Rolle in dieser Geschichte?  War er aus einem bestimmten Grund hier oder war er einfach am falschen Ort zur falschen Zeit?

„Merde“, flüsterte er und schluckte trocken; er musste unbedingt den Schlüssel finden und zwar zügig, bevor die ganze Chose eskalierte.

 

Papperlapapp!

Was heißt denn hier Salpeter?

Fliegendreck und Hackepeter

trifft es bei dir wohl eher –

du jedeswortverdrehender

Garnix-Versteher!

 

Wieder eine andere Stimme. Wem sie gehörte blieb Gerome abemals verborgen. Ratlos ließ er seinen Blick aufs Neue durch das Zimmer schweifen. Er versuchte die aufkeimende Panik zu ignorieren, die sich zunehmend als dicker Knoten in seiner Magengegend bemerkbar machte.

Halt! Was war das? Schnell drehte er sich zur der Wand mit den hohen Bücherregalen. Er hatte dort für einen ganz kurzen Augenblick eine Art Schatten gesehen, er war sich da ganz sicher!

DA!  Wieder ein Schatten – dieses Mal an der gegenüberliegenden Wand die mit einer Kommode bestückt war. Über ihr hing einer der zahllosen großen Spiegel, in der sich die brennenden Kerzen, die auf der Kommode standen, widerspiegelten. Er rieb sich die Augen – der Schatten huschte vor dem Spiegel hin und her. Er rannte zur Kommode…

Der Schatten verschwand hinter dem Spiegel. Kurz überlegte er auf die Kommode zu steigen und hinter den Spiegel zu schauen. Aber wie würde das aussehen? Er, Gerome Baptiste Perrier, Doktor für angewandte Astronomie und Astrophysik, klettert auf Kommoden auf der Verfolgungsjagd nach irgendwelchen Schatten die sich hinter Spiegeln versteckten? Ein derartiges Verhalten kam für ihn einfach nicht in Frage!

Was war das? Er hörte ein Kichern hinter dem Spiegel. Und mit  einen Schlag wurde er richtig wütend!  Doktor hin oder her – er hatte genug von diesem Theater!  Aufgebracht streifte er die verbliebene Socke von seinem Fuß – schließlich wollte er trotz allem nicht auf der glatten Oberfläche ausrutschen – und begann auf die Kommode zu steigen. Der Schatten kicherte wieder – aber  was war das? Das Zimmer war plötzlich erfüllt von Kichern – hinter jedem Spiegel, Kommode, Regal – ja selbst hinter den Vasen, den Blumen und den Grünpflanzen kicherte es in allen Tonlagen und Lautstärken.

Genug! Mit zorngerötetem Gesicht, ohne Rücksicht auf die bisher sein Leben bestimmende Contenance und Zurückhaltung, rüttelte er an dem Spiegel und brüllte er so laut er konnte „KOMM RAUS DU FEIGLING!

Mit einem dumpfen Schlag fiel der Spiegel vornüber auf die Kommode.  Es war totenstill geworden in dem Zimmer. Die Wand hinter dem Spiegel war leer, bis auf ein kleines Päckchen, das am äußersten Ende der Kommode lag. Er hob es auf, wickelte es aus dem Papier und betrachtete es genauer. Er hielt ein Herz in der Hand; es schien aus Stein zu sein und in seiner Mitte war ein messingfarbener, verzierter Schlüssel mit der Jahreszahl 1964  eingearbeitet. Darüber stand in weißer Schreibschrift „Schlüssel zum Erfolg“. Was sollte das bedeuten? Ratlos schaute er auf das Herz.

 

EINS ist die Zahl mit der Alles beginnt

NEUN ist die Zahl die immer gewinnt;

SECHS ist die Zahl auf die man sich besinnt,

VIER ist die Zahl mit der gewinnt jedes Kind!

 

Die Stimme klang hell und hoch. Und freundlich, aber auch irgendwie …. drängend, das war das Wort das er gesucht hatte. Sein Blick fiel auf die Vase mit den Orchideen, die neben dem  Kaminsims auf dem seine feuchten Schuhe standen, thronten. Er schaute genauer hin. Und noch dann noch einmal.  In einer der Blüten, die geformt waren wie ein Frauenschuh, saß ein fremdartig aussehendes zwergenhaftes Wesen, das ihm aufgeregt zuwinkte. Mit seiner fehlenden schwarzen Socke!

 


 

HAPPY BIRTHDAY!

Rätselhaft-geheimnisvolle Erzählung für Karin –  gewidmet von M. Gerome Baprtiste Perrier und der fehlenden schwarzen Socke; 2017/2018

Comments

  • Dir Raupe
    REPLY

    So eine schöne und spannende Geschichte- ich will unbedingt wissen wie es weitergeht!

    8. November 2018

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